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Normalerweise würde man Texte wie diesen hier von Gewinnern lesen. Von Menschen, die etwas mit eisernem Willen bis zur letzten Sekunde durchgezogen haben! Dies ist nicht so ein Text, aber ich möchte dich dennoch auf meine Rennen über 4 von 5 Kanarischen Inseln mitnehmen. Auf die Reise zu den Buchstaben, die niemand, der bei einem solchen Rennen an Start gehen, hinter seinem Namen sehen möchten: DNF. Und die dennoch so in Ordnung sind!

Wer ist ich? Ich bin Nora, 28 Jahre alt, aus Wien – und auf dem Rennrad (und inzwischen auch auf dem Gravel Bike) bin ich bald seit 6 Jahren unterwegs. Ich habe recht früh mit klassischen Radmarathons und Kriterien gestartet, allerdings habe ich noch nie etwas gemacht, das länger als 24 Stunden dauerte. Und bei dem man allein ist! Während Corona einige Menschen isoliert hat, hat es dazu geführt, dass ich fast immer von anderen Menschen umgeben war: Co-Working im Home-Office, Get-Togethers im Büro…. Ich sehnte mich sehr danach, ein paar Tage einfach komplett raus aus dieser Welt zu sein. Einfach nur mein Rad und ich, und die Straße.

Und was ist das Rennen? Das Gran Guanche Audax Road Rennen ist ein „single stage unsupported race“ mit 600KM und 14.000 Höhenmetern über 5 kanarische Inseln – immer auf der unerbittlichen Jagd nach der nächsten Fähre. Von dem Audax gibt es auch eine Version auf Gravel und eine Trail-Version mit noch “ein bisschen” mehr Höhenmetern. Auf das Rennen aufmerksam wurde ich, weil ich in meinem Job sehr eingespannt bin und normalerweise im Sommer, wenn die meisten Ultra-Rennen stattfinden, nicht so gut Urlaub nehmen kann. Außerdem leide ich mental sehr unter der Nebeldecke, unter der Wien im Winter für 6 Monate liegt. Und mit 600km und einer festen Strecke stellt das Rennen einen “soften” Einstieg in die wohl extremste Art aller Straßen-Rennen dar!

Mein Plan? Lanzarote & Fuerteventura an Tag 1, Gran Canaria und an den Fuß vom Teide auf Teneriffa an Tag 2, Teide und ein Stück von La Gomera an Tag 3 und dann ein entspanntes Finish zum Mittag des 4. Tages. In den Wochen vor dem Rennen habe ich das Internet nach jedem einzelnen Bericht durchforstet, den ich finden konnte. Heute freue ich mich sehr, dass nun auch zukünftige Starter:innen vielleicht aus meinen Erfahrungen lernen können. Achtung, es wird lang und detailliert!

Inhaltsverzeichnis

Tag 0 – Anreise & Cap #97 holen

Tag 1 – Lanzarote & Fuerteventura – ein Drama in zwei Akten

Tag 2 – Fuerteventura & Gran Canaria – Erzwungene Entschleunigung

Tag 3 – Gran Canaria & Teneriffa – The good life

Tag 4 – Scratch & Teide

Ein kleiner Hinweis und ein großes Danke an Sergio (Lanzarote & Fuerteventura) & Ruben (Teneriffa) für die tollen Bilder vom Rennen. Ich hoffe, wir finden die ein oder andere Möglichkeit, mal außerhalb eines Rennens zusammen Content zu produzieren! Die Bilder an Tag 2 & 3 habe ich unterwegs mit meinem iPhone12 Pro gemacht. Die SW-Bilder vom Briefing sind vom Renn-Organistor Matteo und die Drohnenshots von Makitek.

Tag 0

Man sagt, das schwerste an dieser Art von Rennen, ist an die Startlinie zu kommen. Die Tage vor dem Rennen waren für mich, wie auch für die meisten anderen Teilnehmer:innen, super stressig. In der Arbeit hieß es, den Urlaub vorzubereiten, währenddessen wurde fleißig zur Probe gepackt, Setups verglichen, die letzten Details zur Anreise organisiert und dann war da noch meine Gabel: mein Rad habe ich gebraucht gekauft und nun wurde beim letzten Service, bei dem auch die Schaltzüge getauscht wurden, eine starke Einkerbung in der Carbon-Gabel festgestellt. Zum Glück konnte ich am Tag vor meinem Abflug eine neue Gabel montieren, aber es war wirklich super knapp. Angekommen auf Lanzarote packte ich noch am Flughafen mein Rad aus, fuhr nach Orzola – dem Start-Ort – und war kaum 5 Minuten in meinem Appartment, als ich beschloss: zur Startlinie war ich bereits gekommen, warum sollte ich das nicht feiern? Beim Supermarkt besorgte ich alles für das Frühstück morgen und ein paar Snacks und spazierte zum Strand. Ich war den Freudentränen das erste Mal nahe, als ich meine Füße in den Atlantischen Ozean streckte und dann bei 20 Grad den Sonnenuntergang genießen konnte!

Am nächsten Tag radelte ich nach Puerto del Carmen, 55km mit Rückenwind, um meine Startnummer zu holen und den Abend verbrachte ich mit weiteren Teilnehmern aus Wien mit einem gemeinsamen Festmahl. Die Taschen wurden am Rad montiert, der Tracker angebracht, die Akkus aufgeladen und ich hatte Mühe, trotz der Nervosität einzuschlafen. Das Gewicht des Rades inkl. Wasser in 3 Flaschen lag bei etwa 16kg.

Tag 1: Lanzarote & Fuerte Ventura

Lanzarote: 100KM, 1.700 HM

Das Rennen startete um 8 Uhr direkt bergauf: auf den Aussichtspunkt zu den Klippen, die ich bei meinem Ausflug zum Strand bereits von unten bewundert hatte. Während die meisten anderen Teilnehmern direkt an mir vorbei pedalierten, fuhr ich mein übliches Bergtempo bergauf. Meine erste Fähre zur nächsten Insel hatte ich um 13:30 gebucht, bis dahin sollte ich es in diesem Tempo locker schaffen. Leider bekamen wir “Langsamen” auch direkt die Launen des Wetters zu spüren: nach 10 Kilometern, direkt vor der ersten Abfahrt, goss es wie aus Eimern! Ich durfte daher auch direkt auf den ersten Kilometern lernen, dass es wirklich keine gute Idee ist, seine Regenjacke in der Satteltasche zu verpacken. 😉

Die erste Abfahrt, auf einer kleinen, malerischen Straße entlang der Küste und mit Blick auf La Graciosa, war schon einfach sehr beeindruckend und eins der schönsten Stückchen der Welt, auf denen ich je war. Mit Regenschauern, Sonne, ein paar Serpentinen und immer wieder mit anderen Teilnehmenden plaudernd ging es bergauf und bergab dahin, bis man in Teguise ein Stückchen gegen den Wind fahren mussten. Auf den Abfahrten hatten mich die konstanten 42 km/h Winde mit noch deutlich stärkeren Böen ein paar Mal auf der Straße versetzt, aber jetzt wurde es richtig gruselig. Vor einem öffnet sich eine scheinbare ewige Straße des Gegenwindes! Ich versprach mir selbst eine Limonade im nächsten Ort und biss die Zähne zusammen. Und Wind von vorne war für mich nicht so schlimm wie Wind von der Seite: ich war zwar langsam, aber konnte mich dabei gut aus meinen Taschen & Flaschen verpflegen.

Während Lanzarote bisher abwechselnd ein bisschen Wüsten-Ähnlich und dann wieder grün war, fuhr ich nun in einen vulkanischen Nationalpark hinein – wieder mit Rückenwind. Juhu! Meine Umgebung war unfassbar beeindruckend und sah einfach noch viel besser aus, als auf all den Fotos! Die positive und beeindruckende Art, alleine zu sein, fühlt man besonders auf diesen langen Straßen, die sich, bergauf oder bergab, hinter den seltenen Kurven, vor einem öffnen. Man ist ein winzig kleiner Punkt auf diesen Straßen, der sich Pedaltritt für Pedaltritt voran bewegt, und die Insel auf die wohl intensivsten Weise entdeckt. Ich war in dem Moment so glücklich und dankbar, obwohl ich mir nicht sicher war, ob ich es rechtzeitig zur Fähre schaffe. Dennoch wollte ich diese Insel, auf die ich mich schon lange vor dem Start so gefreut hatte, richtig genießen – und außerdem fahren die Fähren hier sehr häufig. 

Nach einer langen Abfahrt auf einem perfekten Radweg war ich genau zum richtigen Zeitpunkt am Hafen von Playa Blanca angekommen und schub mein Rad auf die geplante 13:30-Fähre. Dennoch erlebte ich hier auch mein erstes richtiges Tief: ich habe mich in den ersten Stunden unkoordiniert gefühlt, war langsamer, als geplant, hatte häufig mit Angst und Furcht zu kämpfen. Dennoch schaffte ich es, ein Sandwich zu essen, beschloß jedoch, in Corralejo noch einmal Pause zu machen und etwas vernünftiges zu Mittag zu essen. 110 km mit den Höhenmetern ist eine Distanz, die ich aus dem FF fahren kann – allerdings bin ich noch nicht sehr oft deutlich weiter gefahren! Damit ich die kommenden 135km gut schaffe, brauche ich eine gute Unterlage.

Das sahen auch die kanarischen Kellner so, allerdings hatte ich die Rechnung ohne dem “kanarischen Tempo” gemacht, was mir dann doch deutlich mehr Zeit für Erholung brachte, als geplant – mich allerdings auch immer weiter zum Zeitpunkt des Sonnenuntergangs beförderte!

Fuerteventura 1: 60km und 1.100HM

Die ersten 20 KM blies mich der Rückenwind entlang eines wunderschönen Windsurfer-Strandes mit großen Dünen, bevor ich durch ein paar Hügel und eine rote Gesteins-Landschaft mit meinem “Freund”, dem Seitenwind, in Richtung Tindaya fuhr. Meine Bremsbeläge hatten das häufige Angst-Bremsen, die Nässe und den Sand wohl nicht so gut weggesteckt, denn sie machten auch im trockenen Geräusche, die man definitiv nicht hören möchte und schliffen unerbittlich. Einmal spritzte ich Wasser aus meiner Flasche darauf, und durch das Schleifen hatten sie sich so erhitzt, dass es mit einem Zischen verdampfte. Keine gute Idee für Abfahrten in der Nacht! Um das zu lösen, musste ich sowieso das Hinterrrad entfernen und einmal die Beläge rausnehmen, also war der Plan, sie einfach direkt zu wechseln.

Nachdem ich nicht vor einer langen Abfahrt die Bremsbeläge wechseln wollte und es noch gut 10km flach dahin ging, allerdings ohne einem größeren Ort, erledigte ich das einfach am Straßenrand im Sonnenuntergang. Hatte ich erwähnt, dass es windig war? Schwups war die kleine Schraube, die die Bremsbeläge in den Bremsen hält, vom Stein gefegt und ich suchte sie panisch im Sand und zwischen den Steinen. Ohne ihr gab es für mich kein vor und kein zurück – und just von jener Schraube hatte ich keinen Ersatz dabei. Während die Sonne sich nach und nach hinter den Bergen vor mit versteckte, ging ich während der Suche meine Optionen durch. Und fand sie dann doch nach 20 Minuten! Halleluja!

Weiter ging es, von nun war ich hier ganz alleine auf weiter Flur. Die anderen waren entweder weit vor mir oder hatten es sich hinter mir schon zum Schlafen gemütlich gemacht. Vor mir jedoch baute sich eine Wand aus Stein aus und ich konnte bereits vom Fuß des Berges, in beeindruckender Höhe, erkennen, wo ich gleich raufradeln sollte. Zu diesem Zeitpunkt saß ich – mit 1,5 Stunden Pause (Essen und Fähre) – eigentlich durchgehend seit 10 Stunden auf dem Rad. Kurbelumdrehung für Kurbelumdrehung pedalierte ich den Berg hinauf, meist in der Mitte der Straße, denn ich habe Höhenangst und hatte ja schon von unten gesehen, wie weit es dort hinunter geht. Hier war wirklich gar nichts los, bis auf einen weiteren Regenschauer, der sich vor mir aufbaute – es muss der 7. heute gewesen sein. Oben angekommen, nach 1.000 Höhenmetern, musste ich wirklich schlucken und streifte mir meine Regenjacke über. Neben mir hielten plötzlich zwei Autos, aus denen Jugendliche mit lauter Musik ausstiegen. Sie interessierten sich in keinster Weise für mich Häufchen Elend, trugen aber nicht unbedingt zu meinem subjektiven Sicherheitsgefühl bei.

Jaja, die iPhone Nacht-Kamera lässt es gar nicht so dunkel aussehen. Rechts der Reality-Check.

Die Abfahrt war dunkel, so dunkel wie es noch nie um mich herum war. Nass, langsam, schwierig (weil ich mich gegen eine zweite Lampe am Helm für die Kurven entschieden hatte) und ich war einfach fertig mit den Nerven. Ich war so froh, in Betancuria zu sein, wo es zumindest Straßenlaternen gab, und musste mich setzen. Weitere 1.500 Höhenmeter und 70 Kilometer in dieser Verfassung waren eine ganz, ganz schlechte Idee für mich. Ich hatte die Berge und wie abgelegen und ruhig diese Gegend ist einfach total unterschätzt und unterwegs zu viel Zeit verloren. Eine andere Lösung musste her: ein Hotel für heute Nacht. Mehrere Anrufe, alles ausgebucht, auch abseits der Strecke. Nicht mal eine Couch in Hotel-Lobbys oder eine Garage. Mit 10 Grad war es auch zu kalt und nass für eine halbwegs erholsame Nacht mit Rettungsdecke in einem Hauseingang. Jetzt fühlte ich die tückische, einschüchternde Art, alleine zu sein. Und die ging in Mark und Bein!

Aber ich entdeckte 3 weitere, pausierte Tracker im Ort. Ich hatte mit dem Finden der kleinen Schraube mein Glück für diesen Tag noch nicht ausgereizt, nein, es war nur ein kleiner Vorgeschmack für das, was mir an diesem Sonntag Abend bevor stand!

Das Trio Infernal, wie ich die Spanier Victor, Alex und Alvardo später nennen würde, bot an, mich in ihrem freien Bett im Appartement aufzunehmen. Und sie würden mir auch gleich noch etwas richtiges zu essen bestellen – ob ich denn alles esse? War das ein Traum? Halluziniere ich schon?

Als ich komplett fertig, mit meinem nassen Rad, in das schicke Restaurant reinspazierte, ging ich davon aus, gleich rausgeschmissen zu werden. Stattdessen wies der freundliche Ober auf den Tisch, auf den bereits eine Heizung gerichtet war und wo mich köstliche Kartoffeln und Ziegenkäse erwartete! Ich lernte die 3 Männer und ihre Geschichten kennen, die sich auch erst auf der Strecke kennen gelernt hatten, und wir hatten einen richtig schönen Abend. Wir tauschten uns über unsere Setups, die verschiedenen Herausforderungen des vergangenen Tages und die Pläne für morgen aus und fielen dann total erschöpft, aber glücklich in unsere Betten.

Tag 2

Fuerteventura 2: 70km, 1.500 HM

Keine Sorge, der Text zu Tag 2 wird nicht so lange! Meine zweite geplante Fähre ab Morro Jable um 6:30 hätte ich erwischt, wäre ich die Nacht durch gefahren. Die nächste ging erst um 16 Uhr. Das bedeutete einen entspannten Tag und die Möglichkeit, realistische Pläne für die zweite Nacht zu schmieden.

Ich war froh, das ich die wunderschöne Straße durch die beeindruckenden Felsschluchten auf Fuerte Ventura nicht im dunklen gemacht hatte, denn ich kam nicht aus dem Grinsen raus: Es ist so schön hier! Wie unfassbar toll ist es, das sich jemand die Mühe gemacht hat, diese perfekten Straßen mitten in dieses Geröll zu schlagen? Sogar die Ziegen am Straßenrand waren sichtlich glücklich mit dem wunderschönen Ort, an dem sie leben. In Pajara gab es nach dem 1. größeren Anstieg ein köstliches Frühstück mit frisch gepresstem Orangensaft, Bocadillos (Sandwiches) und Cafe. Pajara bedeutet so viel wie Hungerast. Den hatte ich danach definitiv nicht mehr!

Weiter ging es dann alleine, das Trio Infernal wollte ich in Morro Jable zum Mittagessen treffen. Besonders in Erinnerung bleiben wird mir der wirklich perfekte Radweg durch Dünen und Hügel entlang einer Autobahn. So etwas habe ich noch nie gesehen. Der Asphalt war einfach absolut traumhaft und das Meer links lenkte perfekt vom Motor-Lärm rechts ab. Absolut beeindruckend und ich hoffe, das machen noch viele Rennrad-Destinationen nach, sodass man sich nicht immer auf der Straße behaupten muss. Es war die neutrale Art des Allein-Seins hier: es war nett, wäre aber auch in Begleitung nett gewesen.

Dann kamen noch ein paar Bettenburgen, ab Costa Calma beginnt der stark touristische Teil der Insel, auf die man Fuerteventura aber keines Falls reduzieren darf! Ganz im Gegenteil, Fuerteventura war meine persönliche “Entdeckung” des Rennens, weil die Insel so vielseitig ist und ich möchte unbedingt noch einmal kommen. Nach einem köstlichen Mittagessen, bei dem ich auch meine Bekleidung vom Vortag in der Sonne trocknen konnte, ging es für uns auf die zweite Fähre nach Gran Canaria. Diese hatte es in sich: starker Wellengang und ein weiteres mentales Tief machten sie nicht grade zur perfekten Pause. Doch wir hatten einen Plan: heute würde es im dunklen durch die dicht besiedelte Küste an den Fuß von DEM Anstieg auf Gran Canaria gehen.

Gran Canaria: 40km, 1000HM

Gemeinsam mit zwei Deutschen rollten wir durch die recht große Stadt Las Palmas und begannen den Anstieg. Hier fuhren wir immer wieder durch Örtchen, was für mich extrem beruhigend war, aber die Spanier fuhren mir um die Ohren und ich konnte bergab nicht so laufen lassen, wie sie. Dafür lernte ich Juli kennen: sie ist aus Bayern und hatte Lust, ein Stückchen zusammen zu fahren. Wir beide hatten zufällig beide eine Unterkunft bei Ingenio gebucht und verstanden uns von Anfang an prächtig, fuhren ein ähnliches Tempo und ich fühlte mich einfach wahnsinnig wohl in ihrer Nähe.

Nach einer wirklich schönen und entspannten Fahrt durch die Nacht kaufte ich den lokalen Spar leere, checkte in mein Zimmer in einem alten Kamel-Hof ein und konnte sogar auch mein Jersey waschen und trocknen, weil es eine Heizung gab. Der Host, der mich schon erwartete, musste schmunzeln, als ich beim Anblick eines bodenständigen, aber netten Zimmers mit eigenem Bad fragte: “Was? Das ist ALLES für mich?”

Tag 3

Gran Canaria 2: 95km, 2600HM

Juli und ich trafen uns um 7:15 und “aßen” Höhenmeter zum Frühstück. Nach etwa 30 Kilometer und 1500 Höhenmetern sollt es ein Restaurant für ein richtiges Frühstück und WC geben. Und der Anstieg sah schon auf der Karte absolut brutal aus! Über 5 Kilometer fielen hier die Steigungsprozente nur an wenigen Metern unter 14%, mit Rampen weit darüber! Die Beine schon geschafft von den Tagen zuvor, die Räder voll mit Wasser für die abgelegene Gegend – also schwer, die Stimmung? Großartig! Wir plauderten, dann kämpfte wieder jeder ein Stückchen alleine. Stellenweise schob ich mein Rad, über die Cleats an meinen Fizik Tempo Decos Carbon stülpte ich Schoner für die Cleats. Obwohl die Rahmenbedingungen eigentlich gar nicht nach einer “tollen Zeit” klingen, war es ein wunderbarer Vormittag für uns. Im Nachhinein muss ich echt sagen: mit dem bepackten Rad waren diese Menge der Höhenmeter in der kurzen Distanz der härteste Anstieg, den ich jemals gemacht habe. Dagegen ist der Carpegna oder Stelvio Kindergarten. Nach knapp 2,5 Stunden bergauf waren wir dann endlich über den Wolken!

Sieht gar nicht mal so hart aus, wie es tatsächlich war.

Die Aussichten waren absolut fantastisch! Jede Sekunde hätte hier ein Dinosaurier um die Ecke kommen können, denn es sah genau so aus, wie in Jurassic Park. Und über den Wolken wirkte der Teide auf der Nachbarinsel Teneriffa fast zum greifen nah. Die Abfahrten waren teilweise auf älteren Straßen, aber durch absolut beeindruckende Umgebung, und nach einer Kurve stand da auf einmal ein alter VW mit lauter Köstlichkeiten vor sich aufgebaut. In Filmen wäre er von einem hellen Licht umgeben gewesen und ein Engels-Chor hätte gesungen, so sehr haben wir uns gefreut. Erst im Nachhinein bemerkten wir, dass wir hier an DER Touristen-Attraktion und dem Symbol-Geber für das Gran Guanche Logo waren: dem Roque Nublo. Sogar bei dem kleinen VW gab es köstlichen Cafe con Leche, Bocadillo-Sandwiches und frisch gepressten Orangensaft.

Wir fuhren beschwingt weiter und waren guter Dinge, es noch zur 16 Uhr-Fähre zu schaffen. Gran Canaria ist ja eine bekannte Rennrad-Destination und das hat man auch auf den Straßen gemerkt! Eine absolut fantastische Aussicht nach der anderen, süße Dörfer mit netten Cafes (die wir bereits gestärkt auslassen konnten), DIE perfekte Abfahrt… Auf den Anstiegen konnten wir uns besser kennen lernen, um uns die Zeit zu vertreiben. Noch heute denke ich oft an diesen einfach perfekten Tag auf Gran Canaria zurück!

Die lange Abfahrt zum Hafen war dann teilweise steil, teilweise entspannt, vor allem aber waren wir super in der Zeit und so war es auch kein Problem, dass ich noch einmal zum Ticket-Office bei der Fähre in Agaete musste. Auf der Fähre verpflegten wir uns gut und fassten den Plan, zusammen noch etwa 40 Kilometer auf Teneriffa zu fahren: durch den Anaga-Wald an den Fuße des Teide, bevor wir uns für die Königs-Etappe erholten.

Teneriffa 1: 24KM, 1000HM

In den Sonnenuntergang hinein fuhren wir den konstanten Anstieg in die Berge im Norden der Insel, guter Dinge, denn: wir waren ja zusammen! Zwar hatten wir beide Nachts in abgelegenen Gegenden mit Angst zu kämpfen, aber zusammen könnten wir das schon schaffen. Ein letzter Stop bei der Apotheke, Juli hustete zunehmend. Der Mond, kaum dünner als eine Sichel, war neben unseren Frontlampen die einzige Lichtquelle hier und wir fuhren durch einen Wald, der im hellen sicher wunderschön und verwunschen aussieht. Im Dunklen sah er vor allem sehr, sehr gruselig aus. Alle 100 Höhenmeter wurde ein Zwischenjubel eingelegt, doch unser anfänglicher Optimismus verließ uns nach und nach. Die Musik wollte nicht helfen. Meine Erinnerung, dass wir das taten, was wir immer tun: nämlich Rad fahren, nur eben ohne Sonne, wollte nicht wirklich helfen.

In einem kleinen Ort blieben wir stehen. Die Furcht schüttelte uns förmlich, und dann kam wieder so ein gemeiner Hirtenhund angelaufen! “Beware of the Anaga-dogs” hatte ich schon einmal gehört. Ich hatte kein Pfefferspray oder Steine in den Taschen, um es an dem Hund vorbei zu schaffen. Wir machten uns lieber aus dem Staub, zurück zu einem kleinen Haus, wo drei Herren Wein tranken und an ihrem Auto herum schraubten. Wir baten darum, auf einer windgeschützten Bank in Sicherheit vor den Hunden etwas rasten zu können und vielleicht auf ein Taxi zu warten. Wir hatten uns für ein Rennen angemeldet, dass uns an unsere physischen und mentalen Grenzen bringen sollte – aber es sollte auch Spaß machen. Und hier hatten wir doch eher Angst, im Ganzen aus der Sache raus zu kommen. Morgen war ein neuer Tag, für heute hatten wir unsere Arbeit getan und wollten einfach in Sicherheit. Zwar baten uns die Männer sogar an, uns nach La Laguna – also aus den Bergen raus – zu fahren, aber sie rochen doch etwas nach Wein. Außerdem sollte gleich ein Bus kommen!

Wie bitte? Hier, am Arsch der Welt fährt ein Bus? Doch tatsächlich kam ein Bus und nahm uns mit bis zu unserem Hotel. Wir kehrten noch in ein uriges Restaurant ein und hatten ein Käse-Festmahl (die einzige vegetarische Option und genau das, worauf wir Hunger hatten) und ich buchte einen Transfer, der mich am nächsten morgen an den Punkt, an dem wir in den Bus eingestiegen waren, zurück bringen sollte. Dies ist bei solchen Rennen erlaubt, wenn der Service allen Teilnehmern zur Verfügung steht.

Tag 4

Scratch, Teneriffa: 95km, 2000HM

Ich wachte auf mit einer Email, dass mein Transfer gecancelt wurde. Und Juli wachte vom Husten geschüttelt auf und wusste, dass sie es so nicht über den Teide schaffen würde, ohne ernsthafte gesundheitliche Folgeschäden zu riskieren. Ich war also alleine am Fuß des Teides – statt wie in meinem Zeitplan vor dem Start in der Mitte von La Gomera. In Los Cristianos, am anderen Ende der Insel, erwartete mich mein Partner in seinem Rennrad-Urlaub. Ich hätte 2 Stunden zurück radeln können, das Stückchen noch mal abfahren können und DANN über den Teide fahren. Oder ich hätte auf den Goodwill der Busfahrer im Berufsverkehr hoffen können, dass sie mein Rad und mich noch einmal in den Anaga-Wald hochfahren, was auch viel Zeit und noch mehr Nerven gekostet hätte.

Aber in diesem Moment hatte ich die Nerven nicht mehr. Ich habe mir bereits am Vorabend gesagt, als wir im Bus nach La Esperanza saßen: sonst fährst du den Teide halt “einfach so”, nicht im Rennen. Außerhalb der Audax-Wertung. Die Entscheidung, zu scratchen, kam also nicht spontan. Die Mail war schnell geschrieben. Ich war nicht traurig, eher ein bisschen wütend und enttäuscht wegen des Transfers, der mich im Stich gelassen hatte – aber so ist das bei Ultras. Auf den Boden der Tatsachen zurück geholt, dass ich eben trotz des Rennens nicht aus meiner Haut raus konnte und nicht auf magische Weise plötzlich eine schnelle Abfahrerin war – hier habe ich echt die Allermeiste Zeit liegen lassen. Irritiert, dass die Dunkelheit auf den Kanaren für mich so viel schwerer zu händeln war, als während Ausfahrten Nachts in Österreich. Aber vor allem: Befreit von dem Druck, den ich mir in den letzten Tagen gemacht habe.

Ohne Angst radelte ich los ins dunkle und machte mich an die 2000 HM am Stück, die nun vor mir lagen, um den höchsten Berg Spaniens zu erradeln: den Teide! 

Der Anstieg war wieder einmal sehr konstant, irgendwann wurde es mit 3 Grad, Regen und durch die Wolken, durch die man fahren musste, wirklich wieder wie in Wien. Tritt für Tritt ging es bergauf, manchmal musste ich anhalten, um noch eine Schicht überzuziehen.

Und dann fuhr ich aus den Wolken raus. Wie bei einem Wasserfall fallen diese Wolken wirklich die Bergkante hinunter ins Tal, hin zum Meer weit unter mir – es ist ein unfassbares Naturspektakel. Autofahrer, die auch anhielten, um sich das anzusehen, gaben mir einen Daumen hoch. Ride ons im real life! Und es fühlte sich so an, als hätte ich alle Furcht, alle Strapazen der letzten Tage auch da unten liegen gelassen. Dort, wo die Wolken nun hinfielen und meine Furcht begruben.

Auf dem Teide ging es durch die beeindruckende Mondlandschaft und ich nahm mir ganz bewusst Zeit, um beim Radeln all diese Eindrücke für immer abzuspeichern. Ich war total im Flow, es fühlte sich alles leicht an, ich flog quasi über den Teide und die perfekte Abfahrt dahin! Noch ein letzter Cafe Leche y Leche in Vilaflor. Das war nur der erste Ultra-Versuch, der hier grade zu Ende ging, es war in Ordnung, so wie es eben war.

Vielleicht mag es für Außenstehende nicht so leicht verständlich zu sein, weshalb man ohne gesundheitlicher oder technischer Probleme aus einem Audax austritt. Heute ist es das für mich manchmal auch nicht, aber ich weiß, dass es damals die beste Entscheidung für mich war und das ich einiges hätte anders machen können und sollen. Ob ich aus meinen Fehlern gelernt habe? Das werden wir beim nächsten Mal sehen. Und die Kanarischen Inseln als Audax, oder auch einfach so als Bike-Packing, laufen mir ja auch nicht davon!

Die letzte Abfahrt zwischen Vilaflor & Los Cristianos